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Poul Ørum lässt Jonas Mørck und Knut Ejnarsen Platz nehmenEine kulinarische Betrachtung von Frank Göhre"Wohin gehst du?"
"Ich will mir einen amerikanischen Klappspaten besorgen", sagte Kriminalkommissar Jonas Mørck, stellte seine Hausschuhe in die Diele und zog sich die Schuhe an. Seine Frau sah ihm durch die Küchentür zu. Sie stand am Ausguß und schälte Kartoffeln. "Was willst du besorgen?" fragte sie. "Einen Klappspaten." "Einen was? Soll das ein Spaten sein, den man zusammenklappen kann?" "Ja. Ich habe den Spaten in einer Anzeige des American Store gesehen. So ein Klappspaten ist nämlich genau das, was ich brauche. Nur fünfzehn Kronen. Das ist gerade noch zu verkraften." "Wofür braucht man ihn?" "Um Schützenlöcher auszuheben, nehme ich an. Aber ich will damit nach Würmern buddeln. Ein sehr praktisches Gerät - besser als wenn man eine Schaufel mit an den Strand schleppt." "Ich verstehe nicht, daß du das kannst", sagte sie und dachte an das Aufspießen der Würmer auf den Haken. "Ich könnte mich nicht einmal überwinden, die Biester auch nur anzurühren." "Was hast du denn gegen sie?" "Ach, nun hör schon auf", sagte sie. Wenn sie in ihrem Häuschen an der Nordsee Ferien machten - und sie wollten am folgenden Tag dorthin fahren -, nahm er immer gern die Gelegenheit wahr, sich in bescheidenem Umfang als Angler zu betätigen. Er ging dann immer bei Ebbe hinaus, spannte eine Schnur zwischen zwei Stöcken und befestigte daran eine Anzahl Haken, an denen die Sandwürmer aufgespießt waren, die er vorher ausgegraben hatte. Manchmal fing er ein oder zwei Flundern. Seine Frau war nur ein einziges Mal dabeigewesen, als er seinen Fang von den Haken abnahm. Sie war aber schnell fortgegangen, wobei sie ihren Abscheu deutlich gezeigt hatte. Das hatte sie allerdings nicht daran gehindert, die Fische mit gutem Appetit zu verspeisen. "Ich bin von Kindheit an daran gewöhnt", sagte Mørck. "Das ist auch das einzige, was du zu deiner Entschuldigung anführen kannst", erwiderte sie und trat an die Küchentür. Dort blieb sie stehen und sah zu, wie er seine Schuhe schnürte. "Wir essen doch sicher noch nicht gleich?" fragte er. "Es dauert bestimmt nicht länger als eine halbe Stunde." "Ich kenne deine halben Stunden", sagte sie. "Wir essen um halb sieben." "Was gibt's denn?"
"Wer schreibt etwas?" "Na, diese Gourmands, oder wie sie sich nennen." "Du meinst Gourmets?" "Ja, die schreiben einen Unsinn zusammen. Ich hab es in der Zeitung gelesen, kurz nachdem ich mir ein Pfund von diesen kleinen Pellkartoffeln gekauft hatte. In Zucker gebackene Kartoffeln, das war nach Meinung eines dieses Feinschmeckers etwas Abscheuliches, eine kulinarische Barbarei. Nun gut, dann sind wir eben Barbaren!" "Das wird wohl so sein", sagte Mørck und zog seine Windjacke an. "Der Mann ist vermutlich ein Sachverständiger und müßte es also wissen." "Ich weiß wirklich nicht, was die sich einbilden. Sie können den Leuten doch nicht vorschreiben, was ihnen schmeckt. Es ist ja sogar dein Lieblingsgericht. Leider habe ich die geräucherten Würstchen nicht bekommen, die du so gerne dazu magst. Der Metzger meinte, ich sollte doch geräucherten Schweinekamm nehmen, aber das war mir zu teuer, und so habe ich schließlich ein Pfund Gehacktes für Frikadellen gekauft Aber was ist los? Du hörst ja gar nicht zu, Jonas!" Ein Gespräch zwischen Eheleuten. Eine schlichte Sicht auf die Dinge. Biedersinn schimmert durch. Wir sind in Dänemark und hören von einem Gericht, das hierzulande, im Norden der Republik, gern in größerer Gesellschaft eingenommen wird. Mit Bier und anschließend mindestens einem Klaren. "Du hörst ja gar nicht zu", wirft Marie ihrem Mann in der zitierten Romanpassage vor, und in der Tat - so ist es. Kommissar Jonas Mørck aus Kopenhagen wirkt immer etwas zerstreut, redet oft konfus daher, und seine Fälle löst er entsprechend umständlich und meist im Alleingang. Ein Eigenbrötler also, siebenundvierzig Jahre alt - man mag es kaum glauben angesichts der ihm zugeschriebenen Macken, die eher auf einen mit Seniorenpaß verweisen. Seinem jüngeren, energischen Kollegen Knut Ejnarsen geht das senile Gehabe natürlich wahnsinnig auf den Geist. "Worüber zum Teufel grinst du eigentlich die ganze Zeit?" blafft er ihn an. "Ich? Über nichts." Eine typische Antwort, und Ejnarsen nickt grimmig. Er sieht nämlich auch beim besten Willen keine Veranlassung zur Freude. Die beiden Kommissare haben einen neuen Fall. Eine junge Frau ist erwürgt und übel zugerichtet worden, und die Beamten sind auf dem Weg zum Tatort. Es ist ein langer Weg, der sie von der Hauptstadt in die tiefste Provinz führt. Sie fahren durch eine hohe Tannenschonung einen Hügel hinauf. Vor ihnen liegt weit und flach das Land - Westjütland: "Wo die Nordseewellen trecken an den Strand "
"Großer Gott", meint er. "Ich verstehe nicht, wie jemand auf die blödsinnige Idee verfallen konnte, diese unterentwickelte Gegend dem Königreich Dänemark einzuverleiben." Er ist mit Leib und Seele ein Stadtmensch und wird uns als hellblonder, athletischer Typ vorgestellt, der bis vor kurzem das absolute As im Ringverein der Polizei gewesen ist. Jetzt aber sind seine Muskeln von einer Fettschicht überlagert und die blauen Augen blutunterlaufen: Zuviel Fernsehen gehabt, zuviel dabei getrunken. Er ist gereizt, weil seine Frau nun mit ihrer Freundin auf Mallorca Urlaub machen wird. Er hat sie ständig im Verdacht, ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu betrügen. Später erwischt er auch einmal einen ihrer Männer. "Ich bin ihm auf der Treppe begegnet", erzählt er. "Und obwohl wir im zweiten Stock waren, wußte ich sofort, daß er aus dem dritten gekommen war. Dort brannte das einzige Licht im Haus. Cilie flitzte in Unterwäsche herum und räumte auf, nachdem sie ihre Leckerbissen spätabends zu sich genommen hatten - sie würde nie im Traum daran denken, mir zu dieser nächtlichen Stunde oder irgendeiner anderen Tageszeit appetitliche Brotschnittchen mit Schinken und Pfefferkäse darauf zu machen." -
"Was darf es sein?" Sie sprach keinen Dialekt, aber der Akzent war unverkennbar. Wenn Frauen in Westjütland miteinander sprechen, schwingt oft ein klagender Ton mit, dachte Mørck. Ejnarsen dachte an Smørrebrød und bestellte sich zwei Stück. "Was gibt es als warme Mahlzeit?"
Ein kräftiges Essen in einem idyllisch gelegenen Dorfkrog. So ist das durchgehend bei den beiden Kommissaren. Immer wieder verschlägt es sie von Kopenhagen aus aufs Land - nach Jütland, Fünen und anderswohin: Sie hielten an der Ecke Damegade und Gråbrødregade an, wo sich die Kneipe "Zum fidelen Mönch" im Kellergeschoß befand. Die Lichter brannten, obwohl draußen noch heller Tag war, und durch die rauchvergilbten Vorhänge konnten sie die Tische mit den karierten Decken erkennen. Jonas Mørck und Knut Ejnarsen treten ein und nehmen Platz. Und schon ist erst einmal das Mittagessen angesagt. Eine Klappe öffnet sich in der dunkelgetäfelten Wand hinter der Bar, wo die Flaschen auf Regalen geordnet waren. Ein Tablett wurde durchgeschoben, und aus der Küche tauchte der Wirt auf, ein Geschirrtuch oben in die Hose gesteckt. "Bereiten Sie das Haschee selbst zu?" fragte Mørck.
Am nächsten Abend sitzt Mørck dann um etwa halb neun im Café "Drei Kronen" bei einem Bier und schaut hinaus auf den verlassenen Rådhusplads. Ein leichter Sprühregen fällt, und die Fenster des Cafés glitzern vom Wasser, das an ihnen heruntertropft. Er fühlt sich träge und faul: Ein Gefühl der Leere hatte ihn überwältigt Für ihn und Ejnarsen gab es hier nichts mehr zu tun. Der Fall würde abgeschlossen werden mit der Untersuchung der Leiche... Ihm fiel ein, daß er die Fotos nicht zurückgegeben hatte. Eines Tages wirst du gehen und dich selbst vergessen, sagte seine Frau in irgendeinem fernen Winkel seines Bewusstseins.
Drei Fälle lösen Jonas Mørck und Knut Ejnarsen zusammen. Unter den Titeln "Einer soll geopfert werden", "Was ist Wahrheit" und "Stumme Zeugen" sind sie erschienen - Kriminalromane von Poul Ørum. Es sind ruhig erzählte und unspektakuläre Geschichten. Sie enthalten viel Atmosphäre, machen Lust auf das Land, auf entspannte Abende in einer behaglichen Unterkunft - in einem Dorfkrog. Genau die richtige Urlaubslektüre für verregnete Tage. © Frank Göhre Januar 2007 - Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien Die Geschichte erschien zuerst in "Frühstück mit Marlowe" - Rezepte und Geschichten im Wunderlich Verlag, Reinbek 1991 - Überarbeitete und erweiterte Ausgabe Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbek 1997
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