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Strafvollzug statt Frauen und Fußball
Moers/Oberhausen, 17.02.2008. „Leif GW Persson hat wegen einer schweren Angina und Herzproblemen vom Arzt absolutes Flugverbot bekommen. Er kann leider nicht zum Auftakt der KriMinale Moers lesen.“ Diese Nachricht hat die künstlerische Leiterin des „kriminellen“ Festivals, Gabriele Esser, am Donnerstag, nur drei Tage vor Auftakt des zum zweiten Mal stattfindenden Events, erreicht. Zusammen mit dem Fischer Taschenbuch Verlag konnte sie aber hochrangigen „Ersatz“ finden – und das gleich doppelt: Das Autoren-Duo Anders Roslund und Börge Hellström. Schonungslos, brutal – real In Erinnerung bleibt das Autorenduo mit seinem schonungslosen, oft brutalen Stil und grausamen Geschichten, die unserer Realität entspringen, ganz sicher. Mit einer gekonnten Mischung aus harten Fakten und knallharter Recherche einerseits und spannungsgeladener Fiktion andererseits haben sich die beiden im heiß umkämpften Krimimarkt ihre Nische erobert. Dabei geht es Roslund und Hellström nicht um billige Effekthascherei. Stolz sei man vielmehr darauf, dass es ihnen mit ihren Krimis immer wieder gelänge, wichtige gesellschaftliche Debatten in Schweden in Gang zu setzen. So auch bei „Blasse Engel“, dem zweiten Krimi aus der Feder Roslund und Hellströms und das Buch, das sie an diesem Abend präsentieren.
Es geht um die junge Litauerin Lydia, die als Zwangsprostituierte täglich zwölf Freier ertragen muss. Nie weniger als zwölf. Drei Jahre lang. Jeden Tag. Als „Dimitri Scheißzuhälter“ sie mit 35 Peitschenhieben misshandelt, ruft das endlich die Polizei auf den Plan. Sie bringt Lydia ins Krankenhaus, wo sie es schafft, mithilfe ihrer Freundin und „Kollegin“ Alena, der in dem allgemeinen Tumult die Flucht gelungen war, bis in die Pathologie vorzudringen und fünf Geiseln zu nehmen. Sie verlangt, dass der Polizist Bengt Nordwall, gleichzeitig bester Freund des ermittelnden Roslund-und-Hellström-Kommissars Ewert Grens, in die Pathologie kommt. Dort erschießt sie erst ihn, dann sich selbst. Sie hinterlässt ein Video, das Bengt Nordwall in Sachen Zwangsprostitution und Menschenhandel schwer belastet. Ewert, hin- und hergerissen zwischen dem, was Recht und Gesetz verlangen und dem Wunsch, der Witwe seines Freundes die Wahrheit über ihren toten Ehemann zu ersparen, lässt das Video verschwinden und nimmt den Frauen damit ein weiteres Mal ihr Recht auf Selbstbehauptung und das, ihre Geschichte zu erzählen. Sjöwall/Wahlöö Wer bei soviel (Sozial-)Kritik und Realismus an Sjöwall/Wahlöö denkt, liegt nicht ganz falsch: „Wir haben Maj sehr viel zu verdanken. Sie bekam als Lektorin unser fertiges Manuskript als Erste zu lesen und fand, es sei das beste des Jahres gewesen. Ihr haben wir also ganz direkt zu verdanken, dass wir veröffentlicht wurden. Aber natürlich spielen Sjöwall/Wahlöö auch indirekt eine große Rolle. Wir sehen uns als Erbverwalter und dieser literarischen Tradition verpflichtet“, so Anders Roslund. Anders jedoch als bei dem Autorenduo der 1960er und 1970er Jahre steht bei Roslund und Hellström nicht so sehr der ermittelnde Kommissar im Vordergrund, sondern liegt der Fokus auf den Schicksalen der Mörder und ihrer Opfer, sind Revanche und die Genugtuung, die das Opfer angesichts seiner Rache empfindet, die zentralen Themen. Was treibt die Täter an, wann wird ein Mensch zum Mörder?
In „Blasse Engel“ sind es Gefühle wie Scham und Schande, die Auslöser für kriminelle Taten werden: „Die Schande treibt sie alle an. Wir sollten keine Verbrecher jagen. Wir sollten die Schande jagen, die die Verbrecher antreibt.“ (Blasse Engel, Fischer Taschenbuch Verlag, 2007: S. 156) Das gilt für die missbrauchten, vergewaltigten und ausgenutzten Zwangsprostituierten ebenso wie für ihre Freier. „Die Männer, die solche sexuellen Dienste kaufen, weisen eigentlich ein ähnliches Verhalten wie Drogen- oder Alkoholabhängige auf. Sie sind Sexsüchtige und versuchen, indem sie diese Art von Sex kaufen, andere Gefühle, wie zum Beispiel Angst, zu blockieren, zu unterdrücken“, erklärt Börge Hellström, der selbst mit dreizehn seinen ersten Vollrausch erlebte. Es folgten lange Jahre des Drogen- und Alkoholmissbrauchs. Gefängnisaufenthalte. Bis irgendwann im Winter 1994 der Wendepunkt kam. Als Börge Hellström zutiefst deprimiert und alkoholisiert zum Gewähr greift, um sich zu erschießen. Doch er findet das Endstück des Gewehrs nicht, schläft auf dem Sofa ein, erwacht am nächsten Morgen mit einem fürchterlichen Kater, dem Gewehr, das an der Wand lehnt, und dem festen Willen, nun sein Leben zu ändern, zu leben, statt zu sterben. Und so beginnt der lange Weg zurück in die Gesellschaft, vom Kriminellen zum Kriminalautor. Ein starkes Team Über das – tägliche, völlig unromantische – Schreiben dieses ungleichen Autorenduos verraten die beiden an diesem Abend nur so viel: „Wir treffen uns in einem leerstehenden Geschäftslokal etwas außerhalb von Stockholm, beginnen jeden Tag mit einer Therapiestunde, in der wir uns alles, was beim Schreiben stören könnte, von der Seele reden und arbeiten dann täglich von 9 bis 17 Uhr acht Stunden“, so Roslund. Und weiter: „Damit sind wir beide aufeinander zugegangen. Ich habe vorher 16 Stunden am Tag gearbeitet, Börge null. Acht Stunden ist ein guter Kompromiss.“ Privat treffen sich die beiden hingegen nie – fast nie. Roslund: „Letztes Jahr wurde Börge 50 und ich war zu seinem Geburtstagsfest eingeladen. Da musste ich es dann wohl oder übel zwei Stunden auch privat mit ihm aushalten.“ „Damit die Zusammenarbeit reibungslos funktioniert, ist es wichtig, die Unterschiedlichkeit unserer Charaktere zu akzeptieren. Am Anfang wollte jeder viel von sich selbst in den Roman einbringen. Heute geht es uns nur noch darum, was gut und wichtig für das Buch, für die Geschichte ist, nicht primär für uns“, ergänzt Hellström. Und bleibt der konkrete, handwerkliche Schreibakt auch Nebulös und das bestgehütete Geheimnis der Autoren, so steht nach zweistündigem „Verhör“ des kriminellen Duos in jedem Fall fest: Romane wie „Blasse Engel“ sind Börge Hellströms beste Art, sich an der Gesellschaft zu revanchieren, und zusammen sind Roslund und Hellström „ein starkes Team“.Autorin: Alexandra Hagenguth/ © Februar 2008 - Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
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