Über alte Klassiker und neue Tendenzen auf dem Kinder- und Jugendkrimimarkt 
    und das Besondere an Kinder- und Jugendkrimis sprach Susanne Daberkow, Leiterin 
    der Kinder- und Jugendbibliothek der Stadt Oberhausen, mit dem Literaturportal 
    schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien.
 
  
  Literaturportal schwedenkrimi.de: Lesen Kinder und Jugendliche heute noch Krimis?
   Susanna Daberkow: Ganz eindeutig ja! Das Krimigenre ist das zweitbeliebteste 
  Genre überhaupt, laut einer Umfrage des Börsenvereins des Deutschen 
  Buchhandels vom letzten Jahr. Auch anhand der zum Teil sehr starken Abnutzungserscheinungen 
  bei den entliehenen Büchern können wir sehen, wie beliebt dieses Genre 
  bei Kindern immer noch ist. 
  
Literaturportal schwedenkrimi.de: Wie viele Kinder- und Jugendkrimis 
    gibt es derzeit überhaupt?
  Susanne Daberkow: Unzählig viele! Es ist immer die Frage, was uns an 
    Serien auch in deutscher Übersetzung vorliegt. Auch hier kommt ja, wie 
    im Erwachsenen-Bereich, viel aus dem angelsächsischen Raum. Ich schätze 
    aber, dass es zurzeit so an die 20 bis 30 Titel sind, die bekannt und bei 
    den Kindern und Jugendlichen sehr beliebt sind.
  
Literaturportal schwedenkrimi.de: Welche Titel sind das im Einzelnen?
  Susanne Daberkow: Das ist eine Mischung zwischen den alten Titeln, die sicher 
  auch noch viele von uns heutigen Erwachsenen kennen, so wie TKKG, Die Drei ??? 
  oder Enid Blyton, und neuere Autoren, die Zug um Zug kommen. Bei den älteren 
  Serien ist interessant, dass sie immer noch aufgelegt werden. Die Bücher 
  von Enid Blyton beispielsweise haben eine zeitgemäßere, moderne Übersetzung 
  erfahren. Wir haben in der Oberhausener Stadtbibliothek beide Versionen der 
  Enid Blyton-Serie und vervollständigen sie auch laufend, denn es erscheinen 
  immer wieder neue Fortsetzungsbände.
Literaturportal schwedenkrimi.de: Greifen die Kinder und Jugendlichen zu 
    neuen und alten Serien gleichermaßen?
  Susanne Daberkow: Ja, das würde ich so sehen. Auf der einen Seite kriegen 
  die Kinder und Jugendlichen Lese-Tipps von ihren Eltern, die dann natürlich 
  auf diese alten, bekannten Serien zurückgreifen, aber auf der anderen Seite 
  stoßen sie auch auf neuere Sachen. Das geht häufig einher mit dem 
  Merchandising, das Buchverlage und auch Fernsehsender um ihre Serien herum betreiben. 
  Häufig sehen sie dann zuerst etwas in Kassetten- oder CD-Form und kommen 
  dann auf die Idee, sich diesen Titel auch als Buch auszuleihen. 
  
Literaturportal schwedenkrimi.de: Was ist denn das Charakteristische für 
    Kinder- und Jugendkrimis?
  Susanne Daberkow: In einer Umfrage des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels 
  im letzten Jahr hat man die Kinder und Jugendlichen selbst dazu befragt. Für 
  Kinder und Jugendliche ist es dabei ganz wichtig, dass eine Geschichte kausal 
  erzählt wird, dass es nicht zu viele Handlungsstränge gibt und dass 
  stringent zu Ende erzählt wird. Kinder sind sehr kritische Leser, die ganz 
  schnell Bücher aus der Hand legen, wenn Sachen irgendwie nicht stimmig 
  sind, wenn also beispielsweise irgendeine Person nicht mehr aufgegriffen wird 
  und weg bleibt oder wenn auf einmal innerhalb einer Serie ganz wichtige, handlungstragende 
  Personen nicht mehr vorhanden sind. Ganz wichtig ist auch eine Handlung, die 
  wirklich bis zum Schluss spannend bleibt. Mit Verrätselungen können 
  die Kinder und Jugendlichen außerdem weniger anfangen als Erwachsene.
  Sehr beliebt ist bei Kindern und Jugendlichen natürlich ein Kind oder Jugendlicher 
  als Detektiv, der der Polizei außerdem immer einen kleinen Schritt voraus 
  ist. Spaß haben Kinder auch schon mal an kurzen, logischen Fragen zwischendurch, 
  wo sie selber rätseln dürfen. Bei den Drei ???-Büchern übernimmt 
  diese Funktion beispielsweise der Erzähler Alfred Hitchcock, der sich zwischendurch 
  immer mit einer Frage an seine Leser wendet. Ich denke, dieser Trick kann Kinder 
  dazu bewegen, das Buch weiter zu lesen. 
  
Literaturportal schwedenkrimi.de: Dabei hat Alfred Hitchcock die Bücher 
    nie geschrieben, oder?
  Susanne Daberkow: Nein, Alfred Hitchcock hat zwar noch zu Lebzeiten seinen 
    Namen gegeben, aber die Bücher wurden von Anfang an von einem anderen 
    Autor geschrieben, und auch das hat inzwischen schon wieder gewechselt.* 
  Aber weil diese Serie so äußerst beliebt ist, - vor allem auch bei 
  Erwachsenen - läuft sie immer noch weiter und auch wir kaufen und vervollständigen 
  die Serie ständig. Ich finde das auch ganz spannend, dass die Erwachsenen 
  zu uns in die Kinder- und Jugendbibliothek kommen, um sich die Drei ???-Hörspiele 
  oder -Bücher auszuleihen, weil da so ein bisschen die Grenzen verwischen 
  zwischen reiner Kinder- und reiner Erwachsenenliteratur.
Literaturportal schwedenkrimi.de: Die Drei ??? sind dabei älter geworden; 
    die Fünf Freunde von Enid Blyton nicht. 
  Susanne Daberkow: Ja, die sind immer gleich klein geblieben, haben aber, wie 
  gesagt, eine neue Übersetzung erfahren und das war sehr gut so, auch im 
  Sinne der Mädchenförderung. Die Mädchen sind ja immer zu kurz 
  gekommen und waren eher Dummchen.
Literaturportal schwedenkrimi.de: Dann ist es aber schon weit mehr, als nur 
    eine neue Übersetzung?
  Susanne Daberkow: Ja, das ist richtig, das ist eine Neu-Bearbeitung. Das 
    ist aber auch im Zusatz genannt. In den 80er-Jahren und Anfang der 90er haben 
    sich wirklich viele beschwert und gesagt, das kann man doch so eigentlich 
    gar nicht mehr anbieten, das entspricht nicht mehr unserem heutigen Mädchenbild, 
    das darf man so doch nicht mehr publizieren. Dann hat der Verlag sich etwas 
    einfallen lassen, denn die Serie soll ja verkaufsstark bleiben. 
  
Literaturportal schwedenkrimi.de: Haben denn Kinder- und Jugendkrimis den 
    gleichen "schlechten" Ruf wie Erwachsenenkrimis, die immer als "trivial" 
    abgetan werden, obwohl sie das auch nicht immer sind? 
  Susanne Daberkow: Nein, eigentlich nicht. Gerade im Zuge von PISA werden 
    Krimis auch als Lese-Einstieg gesehen für Kinder, die vielleicht nicht 
    so viel lesen, und Krimis helfen, aus den Kindern vielleicht lesewütige 
    Erwachsene zu machen. Das finde ich auch legitim. Aber wie im Erwachsenenbereich 
    ist auch bei den Kinder- und Jugendkrimis zu beobachten, dass die Themen immer 
    anspruchsvoller werden. 
  Literaturportal schwedenkrimi.de: Was sind das für Autoren im Kinder- 
    und Jugendbereich?
  Susanne Daberkow: Wie im Erwachsenenbereich tun sich auch hier vor allem wieder 
  die Skandinavier hervor, die schon in den Kinder- und Jugendkrimis einen gesellschaftskritischen 
  Anspruch thematisieren und ihr Land wirklich so beschreiben, wie es sich momentan 
  im sozialen Kontext darstellt. Unter anderem ist das der schwedische Autor Mats 
  Wahl, der jetzt mit "Kill" wieder einen regelrechten Bestseller im 
  Kinder-Krimi-Bereich gelandet hat. Er macht sich dabei auch - ganz legitim - 
  den Serieneffekt zu nutze und hat mit seinem Hauptkommissar Fors einen erwachsenen 
  Protagonisten geschaffen. Die Taten spielen aber immer konsequent im Kinder- 
  und Jugendmilieu und Kinder und Jugendliche sind auch als Täter und Opfer 
  die zentralen Figuren. Das sind schon sehr anspruchsvolle Bücher, für 
  Jugendliche ab ca. 13, 14 Jahre.
    Dass ein Erwachsener die zentrale Rolle in einem Kinder- oder Jugendkrimi 
    innehat, ist natürlich ganz untypisch, aber das gibt es auch in "Die 
    Spione von Oreborg". Der Autor heißt Jakob Wegelius, auch ein Schwede. 
    Hier ist die Hauptfigur zwar auch ein Erwachsener, aber dies ist eine urkomische 
    Figur. Sonst ist es aber wirklich ganz, ganz selten, dass Erwachsene die Hauptrolle 
    in einem Kinder- oder Jugendkrimi spielen.
  Außerdem gibt es noch den Norweger Ingvar Ambjørnsen, der vielen 
  Erwachsenen als Autor der Elling-Romane bekannt sein dürfte. Seine Serie 
  "Pelle und Proffen" ist auch sehr sozialkritisch und hat immer wieder 
  sehr gute Besprechungen, ist aber zumindest bei uns in der Bibliothek nicht 
  sehr erfolgreich und wird nicht häufig ausgeliehen.
Literaturportal schwedenkrimi.de: Mats Wahls Buch "Kill" handelt 
    von einem Amokschützen an einer schwedischen Schule. Einige Schüler 
    werden verletzt, zwei andere sterben. Das führt zu der Frage: Wie realistisch 
    dürfen Kinder- und Jugendkrimis eigentlich sein? Realistisch im Sinne 
    von wie viel an konkreter, realistischer Gewalt dürfen sie artikulieren 
    und darstellen und vor allem in welcher Form?
  Susanne Daberkow: Das ist eine wichtige Frage für uns Kinder- und Jugendbibliothekare, 
  die wir auch sehr ernst nehmen. Allerdings ist das Problem nicht ganz neu. Wenn 
  man mal Kalle Blomqvist nimmt, stellt man fest, dass dieses Buch gerade auch 
  für die 50er-Jahre ein ganz brutaler Krimi war. Da passiert wirklich ein 
  Mord und die Kinder geraten in echte Bedrängnis und große Gefahr. 
  Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der 50er-Jahre finde ich die Kalle Blomqvist-Krimis 
  wirklich sehr hart. Heute ist das so, dass bei den Besprechungen, die ich als 
  Bibliothekarin lese, häufig steht: Achtung, die Gewaltdarstellungen sind 
  sehr hart und deutlich dargestellt, vielleicht schon so deutlich, dass sie zum 
  Nachahmen animieren. Ich bin dann mit solchen Büchern immer sehr vorsichtig. 
  Wir versuchen das ein wenig zu steuern, indem wir die Krimis nach Altersklassen 
  sortiert aufgestellt haben, aber man kann nicht bei jedem Buch kontrollieren, 
  wer es ausleiht. In der Regel aber, finde ich, ist die Gewalt in den Kinder- 
  und Jugendkrimis schon abgeschwächt dargestellt.
Literaturportal schwedenkrimi.de: Worin unterscheiden sich denn heutige Kinder- 
    und Jugendkrimis am meisten von ihren großen Vorbildern wie Enid Blyton?
  Susanne Daberkow: Sie unterscheiden sich natürlich vor allem dadurch, dass 
  tradierte Rollenverständnisse aufgebrochen wurden und dass die Verbrechen 
  solche Verbrechen sind, die es auch nur heute geben kann, z.B. Computerkriminalität. 
  Was früher der Diebstahl des Zirkus-Ponys war, ist für Kinder heute 
  nicht mehr lebensnah. Außerdem spielen Themen wie Diebstahl untereinander, 
  Mobbing und Gewalt eine große Rolle, und ich halte es auch für richtig 
  so, dass die Kinder und Jugendlichen ihre eigene Realität in diesen Büchern 
  wieder finden. Ich glaube, auch einem 8jährigen Kind kann man heute nicht 
  mehr nur mit dem gestohlenen Zirkus-Pony kommen.
Literaturportal schwedenkrimi.de: Was können denn Kinder- und Jugendkrimis 
    Erwachsenen noch geben? Warum sollten auch Erwachsene noch mal zu Kinder- 
    und Jugendkrimis greifen?
  Susanne Daberkow: Seit Harry Potter rätselt man ja sowieso, wo es da 
    überhaupt die Grenze gibt. Ich finde das sehr schön und unserer 
    Arbeit in der Kinder- und Jugendbibliothek auch sehr zuträglich, dass 
    auch Erwachsene zu Kinder- und Jugendliteratur greifen. Seit Harry ist dieses 
    Leseverhalten salonfähig geworden. Früher haben ja Erwachsene, die 
    sich in der Kinder- und Jugendbibliothek aufhielten, nur Spott geerntet.
  Für mein Empfinden kann man aus Kinder- und Jugendbüchern auch eine 
  Menge lernen. Die Sprache ist zwar einfacher, aber man lernt die Sichtweise 
  der Kinder auf die Erwachsenenwelt kennen. Häufig denke ich, da steckt 
  viel Wahrheit drin und man kann daraus als Erwachsener viel lernen, vor allem 
  im Umgang mit Kindern und Jugendlichen.
Wir danken Susanne Daberkow für ein spannendes und interessantes Gespräch!